Debattenbeitrag: Der Landkreis Groß-Gerau macht zu wenig aus seinem Potenzial

Datum des Artikels 13.07.2025

Das erneute, deutliche Absacken des Kreises Groß-Gerau im Zukunftsatlas ist ein Alarmsignal. In einer gemeinsamen Erklärung fordern die MIT Groß-Gerau und die Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) im Kreis Groß-Gerau eine Kehrtwende in der Kreispolitik. Es braucht eine bessere Schwerpunktsetzung und mehr Freiraum für Innovationen vor Ort. Nur so gelingt es im Standortwettbewerb um Unternehmen und qualifizierte Einwohner zu bestehen.

Nur noch „Leichte Chancen“ und einer der letzten Plätze in Sachen Dynamik. Dieses Zeugnis stellt der neueste Zukunftsatlas dem Landkreis Groß-Gerau aus, in dem die Wirtschaftsforscher von Prognos die Zukunftsfähigkeit von 400 deutschen Städten und Landkreisen untersucht haben.

Weckruf für Groß-Gerau: Der Kreis muss seine Stärken aktiv nutzen


Nach Rang 16 vor sechs Jahren und Rang 67 bei der letzten Untersuchung im Jahr 2022 reicht es diesmal nur noch für Rang 158. Und dies auch nur, weil man sich auf wirtschaftliche Stärke der Bestandsunternehmen und die gute Infrastruktur im Herzen des Rhein-Main-Gebiets (Rang 76) und eine sehr junge, wachsende Bevölkerung (Rang 74) verlassen kann. Dafür steht in der wirtschaftlichen Dynamik ein miserabler Platz 393 in den Büchern und auch beim Thema Arbeitsmarkt, gemessen etwa an der Arbeitslosenquote oder dem Anteil Hochqualifizierter, findet sich der Landkreis mittlerweile in der unteren Hälfte Deutschlands wieder.

Dies muss ein Alarmsignal sein für alle vierzehn Kommunen. Der Landkreis ist bunt, jung, er ist Zuzugsgebiet für Menschen aus aller Welt, angetrieben von einer herausragenden Anbindung an Luft- Autobahn- und Binnenschifffahrts-Verkehr sowie seine Integration in die Metropolregion Rhein-Main.

Kommunen unter Druck: Sozialausgaben und Kreisumlage blockieren Spielräume

Gleichzeitig bedeutet der Zuzug auch eine enorme Herausforderung. Die Soziallasten im Kreishaushalt sind hoch, die Dynamik ihres Anstiegs noch höher und die Kreisumlage zieht dabei ungebremst mit. Den Kommunen bleibt keine Luft zum Atmen, wenn große Teile der eigenen Mittel schon an den Kreis abfließen, bevor auch nur ein Kindergarten, ein Sportverein oder eine innerörtliche Straße etwas davon hat. So geraten die Kommunen und der ganze Kreis zunehmend unter Druck im Wettbewerb um attraktives Gewerbe und gut ausgebildete Einwohner. Verlässliche Kinderbetreuung, gepflegte Straßen und Wege sowie möglichst vielfältige Freizeitangebote sind wichtige Standortfaktoren. Bei ihrer Vernachlässigung droht eine Abwärtsspirale.

Der Kreis als Partner statt Bremser

Was es nun braucht, sind Impulse aus dem Kreishaus, um den Landkreis wieder in seine wirtschaftliche Dynamik zurückzuführen. Das Ried, die Mainschiene und Mainspitze, Mörfelden-Walldorf oder die Kreisstadt, sie alle leisten hervorragende Arbeit, genauso wie die jeweiligen Unternehmen vor Ort. Der Kreis muss jetzt zum Gestalter des Wandels werden. Dabei sind auch bestehende Prozesse und Einrichtungen, wie etwa das Vorgehen bei Schulbauten oder die Kreisklinik, konsequent vor dem Hintergrund sich ändernder Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen.
So entsteht neuer Raum für die Kommunen und Initiative vor Ort. Diese Entwicklung könnte durch den Kreis begleitet, koordiniert und vermarktet werden.

Das Landratsamt täte gut daran, die Vorzüge des Kreises offensiv zu vermarkten, anstatt in ein ewiges Klagen über die soziale Entwicklung einzustimmen. Denn ob diese Bevölkerungszusammensetzung zukünftig zur kostspieligen Belastung oder zum Treiber für die Gewerbesteuer wird, hat dieser Landkreis selbst in der Hand.

Stattdessen erweist sich der Kreis nicht selten selbst als Hindernis. Berichte von Bauvorhaben, welche durch umständliche Prozesse unnötig ausgebremst werden oder die Verunsicherung von Familien durch Änderungen am Lenkungsverfahren zur Vergabe von Schulplätzen sind dafür nur zwei Beispiele.

Impulse setzen – gemeinsam Zukunft gestalten

Nun braucht es auch ein politisches Signal des Aufbruchs. Nach der kommenden Kommunalwahl braucht es eine Wachstums-Koalition im Kreistag, die den Anspruch an sich stellt, Rahmenbedingungen zu gestalten, statt Mangel zu verwalten. Denn dann kann der Riss zwischen Kommunen und Landkreis geschlossen und der ewige Streit um die Umlagebelastung wieder befriedet werden. Der Landkreis als Partner seiner Kommunen und Koordinator ihrer Interessen.

Der Abstieg im Zukunftsatlas muss ein Weckruf für uns im Landkreis Groß-Gerau sein. Er kann – mit politischem Willen und gezieltem Handeln – der Ausgangspunkt für eine neue, gemeinsame Wachstumsgeschichte werden. Der Landkreis hat das Potenzial – jetzt gilt es, dieses aktiv zu entfalten.

Dr. Thorsten Dietrich 
Kreisvorsitzender
KPV Kreisverband Groß-Gerau

Max Hochstätter
Kreisvositzender
MIT Kreisverband Groß-Gerau

Themen